Interessentenermittlung Autofreies Wohnen in Karlsruhe
Das Interessentenpotential
Im Bundesdurchschnitt (Westdeutschland) haben 26 % aller Haushalte kein Auto [25], in Karlsruhe 22,5 %. Auf diese Zahl wird bei Nachfrageermittlungen immer wieder Bezug genommen, doch sie ist ungeeignet als Ausgangspunkt der Interessentenermittlung für ein autofreies Wohnprojekt. Sie läßt keine Rückschlüsse auf die Personenzahl in den Haushalten und die Freiwilligkeit des Autoverzichts zu: bei den 26 % Haushalten handelt sich überwiegend um Einzelpersonenhaushalte mit 17 % der Gesamtbevölkerung (7,4 Mio. Haushalte mit 10,6 Mio. Personen [Planerin 4/95]), meist jungen Menschen (Anlage 27), die entweder noch kein Auto besitzen, oder um alte Menschen, die aus Altersgründen auf ein Auto verzichten müssen. 88 % aller autofreien Haushalte in Nordrhein-Westfalen verfügen nur über ein geringes Einkommen [3], sie entscheiden sich also nicht freiwillig für eine autofreie Lebensform.
Feste Aussagen, wie viele Menschen sich für autofreie Wohnprojekte interessieren, lassen sich nur schwer treffen. In Bremen gab es 1992 bei einer Wohnbevölkerung von etwa einer halben Million Menschen 350 Interessenten, die Autofreie Solarinitiative Karlsruhe (ASKA) hatte vor wenigen Jahren bei rund der Hälfte an Einwohnern die gleiche Zahl an Interessenten. Bei einer Marktuntersuchung in Köln [21] wurden bei knapp einer Million Einwohner 2.500 Interessenten ermittelt. Investoren bezweifeln, daß man von einem Potential von 10 bis 25 % der Mieter und Wohnungskäufer ausgehen kann, wie es in manchen Untersuchungen angenommen wird [10]. Die sicherste Methode, zuverlässige Planungsgrundlagen zu erhalten, ist eine breit angelegte Öffentlichkeitskampagne, verbunden mit einer Befragung der potentiellen Interessenten nach ihren Motiven und Wünschen hinsichtlich eines autofreien Wohnprojektes.
In Karlsruhe gibt es gegenwärtig keine aktuellen Daten über die Nachfrage an autofreien Wohnprojekten. 1997 gab es eine Befragung unter den damals fast 400 Mitgliedern der Initiative. Die Ergebnisse sind aber nicht mehr aktuell, da die Mitgliederzahl auf etwa einhundert gesunken ist. Dennoch werden sie berücksichtigt, da sich die Umfrage konkret auf das Kasernengelände in der Nordstadt bezog. Das Interesse an reinem „Autofreiem Wohnen“ ist gegenwärtig sehr gering einzustufen, da an einer Informationsveranstaltung der BauWohnberatung Karlsruhe (BWK) für ASKA-Mitglieder im November 1999 zu den Realisierungsmöglichkeiten auf dem Grundstück „Nördlich des Kanalwegs-West“ nur 15 Interessenten anwesend waren. Der Versuch einer Mitgliederbefragung im Rahmen dieser Arbeit scheiterte an dem geringen Rücklauf von nur fünf Fragebögen (Anlage 28).
Um zusätzliche Interessenten zu gewinnen, ist eine breit angelegte Öffentlichkeitskampagne mit Zeitungsanzeigen, Informationsveranstaltungen und Pressearbeit notwendig. Als Träger dieser Arbeit kommen die Autofreie Solarinitiative Karlsruhe (ASKA) und die Stadt Karlsruhe in Frage, da sie das größte Interesse an einem solchen Projekt haben. Das Interesse der ASKA erklärt sich aus der Zielsetzung ihres Vereines, das Interesse der Stadt liegt in der Entwicklung von neuen flächenschonenden und autoverkehrsreduzierenden Wohnformen.
Ergebnisse von Marktuntersuchungen unter Interessenten an autofreien Wohnprojekten
Die bisher größte Marktuntersuchung [21] über Interessenten an autofreien Wohnprojekten fand 1997 in Köln statt. Dabei wurden 2356 Haushalte befragt, von denen 51,3 % kein Auto besitzen. Die wichtigsten Ergebnisse werden hier vorgestellt und durch andere verfügbare Daten ergänzt. Bei der Karlsruher Vergleichsgruppe gaben 39 von 63 Personen an, kein Auto zu besitzen (62 %). Diese Daten dienen als Grundlage zur Entwicklung eines autofreien Wohnkonzeptes und der damit verbundenen Maßnahmen auf dem Grundstück „Nördlich des Kanalwegs-West“.Motive der Interessenten
Am wichtigsten hinsichtlich dieses Zieles ist die Ermittlung der Motive für ein autofreies Wohnprojekt (Abbildung 5). Hauptkriterium ist dabei der konkrete Wunsch, weniger Umweltbelastungen wie Lärm (53,8 %) und Luftverschmutzung (36,8 %) ausgesetzt zu sein, ergänzt wird es durch die Nennung des abstrakten Kriteriums „Umweltfreundlichkeit“ (22,9 %). Diese Motive deuten auf Unzufriedenheit mit der bestehenden Wohnsituation hin. Erst an dritter und vierter Stelle werden positive Vorstellungen wie „Kinderfreundlichkeit“ (33,4 %) und „Höhere Lebensqualität“
(28,3 %) entwickelt. Das Thema „Mobilität ohne Auto“ erscheint erst an fünfter Stelle (25,3 %), steht also nicht am Anfang der Wünsche. Vor allem geht es den Interessenten um eine Wohnform, bei der sie nicht mit den negativen Auswirkungen des Kfz-Verkehrs belastet werden. Eine Umfrage von 1995 in Berlin (Anlage 27) bestätigt diese Ergebnisse. Auch hier werden zuerst die konkreten Gründe „Sicherheit für Kinder“ und weniger „Lärmbelästigung“ genannt, abstraktere Gründe wie „Umweltschutz“ und „Verkehrsvermeidung“ folgen erst auf dem dritten und sechsten Platz. Bei der Berlin-Umfrage muß man allerdings berücksichtigen, daß sie nicht unter Interessenten an autofreien Wohnprojekten stattfand, sondern unter allen Erwachsenen.
Abbildung 5: Motive für autofreies Wohnen. Ergebnis der Marktuntersuchung in Köln von 1997 [21].
Ausgewertet wurden 2356 Fragebögen.
Die Auswertung der Karlsruher Umfrage von 1997 unter den ASKA-Mitgliedern ergab als Hauptgrund (mit 45 von insgesamt 130 Nennungen) Zustimmung zu dem Satz: „Mir ist es besonders wichtig, weitgehend unbelastet von Abgasen und Lärm des Kraftfahrzeugverkehrs zu leben. Wege und Plätze den Menschen statt den Autos, das bedeutet für mich Lebensqualität.“ Bei dieser Umfrage waren aber keine freien Nennungen möglich, sondern es standen nur fünf Antworten zur Auswahl.
Die Altersstruktur der Interessenten
Die Altersstruktur der Interessenten bei der Kölner Marktuntersuchung (Abbildung 6) unterstreicht die Wichtigkeit des Kriteriums „Sicherheit für Kinder“. Bei ihnen handelt es sich vor allem um junge Familien mit überdurchschnittlich vielen Kindern unter zehn Jahren. Bei der ASKA-Befragung von 1997 ergab sich ein ähnlicher Altersaufbau unter den Mitgliedern (Anlage 29). Hier war der Anteil an Kindern unter 10 Jahren sogar noch höher. Ähnlich ist der Altersaufbau in der Umgebung; im direkt östlich angrenzenden Wohngebiet der MieterInneninitiative Karlsruhe sind von etwa 230 Bewohnern rund 80 Kinder unter 18 Jahren.
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Abbildung 6: Personen nach Altersklassen. Ergebnis der Marktuntersuchung in Köln von 1997 [21].
Ausgewertet wurden 2356 Fragebögen.
Gewünschte Wohnformen
Bei den Kölner Interessenten handelt es sich zu 80 % um Personen, die zur Zeit in Miete wohnen, aber zu einem großen Teil am Erwerb von Wohneigentum interessiert sind. Für die Hälfte aller befragten Personen kommt als gewünschte Wohnform nur Eigentum in Frage (Abbildung 7). Fast 40 % wünschen sich die Möglichkeit, in einem autofreien Wohnprojekt auch zur Miete wohnen zu können.
Abbildung 7: Gewünschte Wohnform. Ergebnis der Marktuntersuchung in Köln von 1997 [21].
Ausgewertet wurden 2356 Fragebögen.Unter den Karlsruher ASKA-Mitgliedern sah diese Aufteilung (Anlage 29) völlig anders aus: 21mal wurde „Miete“ als Wohnform genannt (39 %), aber nur neunmal „Eigentum“ (17 %). Die überwiegende Anzahl der Nennungen (24) entfielen auf sonstige Möglichkeiten wie Genossenschaftsbeteiligung und Mietkauf (44 %).
Zusätzlich wurde bei den Wohnwünschen noch nach Haustypen unterschieden. Diese Wahl ist in der Kölner Untersuchung stark vom Standort abhängig. Bei Standorten in Innenstadtnähe ist der Anteil an gewünschten Mehrfamilienhäusern höher (46 %) als in Stadtrandlage (36 %), in Stadtrandlage werden mehr Ein- und Zweifamilienhäuser gewünscht (58 %) als in der Innenstadt (41 %). In Karlsruhe entfallen auf Reihenhausbebauung 13 Nennungen und auf Geschoßwohnungsbau 30 Nennungen; siebenmal wurde Wohngemeinschaft angegeben, eine Angabe, die sich keiner der oben genannten Kategorien zuordnen läßt.
Autofreies Arbeiten
In Köln gaben etwa 20 % der Befragten an, daß sie innerhalb des autofreien Wohnprojektes auch beruflich tätig sein wollen. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig, weil sich damit eventuell die Möglichkeit bietet, die bestehenden Mängel in der Infrastruktur der Nordstadt zu beheben.
Abbildung 8: Interesse am autofreien Arbeiten in Köln nach Art der Tätigkeit. Ergebnis der Marktuntersuchung in Köln von 1997 [21].
Ausgewertet wurden 477 Angaben.
Die je nach Art der Tätigkeit benötigte gewerbliche Fläche erlaubt auch Aussagen über die Art der zukünftigen Bebauung. Im Mittel werden etwa 90 qm Nutzfläche pro Betrieb benötigt, dies entspricht der Größe einer durchschnittlichen Wohnung. Durch die Ansiedlung von Gewerbe lassen sich auch Arbeitsplätze für die übrigen Bewohner des autofreien Wohnprojektes schaffen.
Bei den angestrebten autofreien gewerblichen Nutzungen (Abbildung 8) handelt es sich überwiegend um Dienstleistungen, Praxen und Büros mit wenig Laufkundschaft. Das mögliche Angebot im Einzelhandel ist sehr gering. In Karlsruhe haben nur neun der 66 befragten Erwachsenen (14 %) die Absicht, in einem zukünftigen autofreien Wohnprojekt als Selbständige und Arbeitgeber auch autofreies Arbeiten zu ermöglichen. Diese Zahl ist zu niedrig, um daraus Tendenzen abzulesen.
Gewünschte Infrastruktur und zusätzliche Mobilitätsangebote
Die ASKA-Befragung bezog sich auch auf das Infrastrukturangebot nördlich des Kanalwegs und seine Mängel. Bei 151 Nennungen wurde 33mal die Einrichtung einer Bäckerei als wichtig bezeichnet, 32mal die eines Lebensmittelladens und 31mal ein Wochenmarkt gewünscht. Weiterhin wurden eine Metzgerei, Drogeriemarkt und Zeitschriften- und Schreibwarenhandel gewünscht.Durch den Verzicht auf das eigene Auto wird es notwendig, andere Angebote zu schaffen, um den Verkehr des Wohngebietes abzuwickeln. Dazu wurden in Köln die Interessenten befragt, wie wichtig ihnen andere Mobilitäts- und Dienstleistungsangebote sind (Tabelle 8). Als wichtigste Alternative zum privaten Auto wird dabei ein Car-Sharing-Angebot gefordert, ebenso Lieferdienste, die die private Einkaufsfahrt überflüssig machen. Als drittwichtigste Mobilitätsalternative wird das Angebot eines Fahrrad- und Fahrradanhängerverleihs gefordert. Ein Taxistand sollte auch möglichst in der Nähe sein.
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sehr wichtig
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wichtig
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teils/teils
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weniger wichtig
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Tabelle 8: Überblick über das Interesse an ergänzenden Mobilitäts- und Dienstleistungsangeboten.
Ergebnis der Marktuntersuchung in Köln von 1997 [21]. Ausgewertet wurden 2356 Fragebögen.
Zusammenfassung
Zur Zeit ist keine genaue Angabe über die Anzahl der Interessenten an einem autofreien Wohnprojekt in der Karlsruher Nordstadt möglich. Der Mitgliederstand der Autofreien Solarinitiative Karlsruhe (ASKA) läßt nur dahingehende Rückschlüsse zu, daß die Verwirklichung eines reinen „Autofreien Wohnens“ nicht in Frage kommt. Im Vordergrund des Interesses an autofreien Wohnprojekten steht der Wunsch nach einem lebenswerten Wohnumfeld, das frei ist von den negativen Auswirkungen des Kraftfahrzeugverkehrs. Darunter fallen die Verringerung der Lärm- und Abgasbelastungen, sowie die Schaffung einer kinderfreundlichen Umgebung mit sicheren Spielmöglichkeiten. Dazu zählt auch die Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Freien mit mehr Kommunikationsmöglichkeiten und das Erreichen von höherer Verkehrssicherheit im Wohngebiet. Abstrakte Motive wie Umweltschutz fallen hinter die genannten individuellen Vorteile zurück. Aussagen darüber, ob die zukünftigen Bewohner eines autofreien Wohnprojektes auch tatsächlich auf private Autos verzichten oder deren Nutzung einschränken werden, lassen sich nur sehr schwer treffen. So gaben 13 der 63 befragten ASKA-Mitglieder an, auf ein privates Kraftfahrzeug nicht verzichten zu können.Auch dürfte es schwer fallen, das fehlende Angebot an Grundversorgungseinrichtungen nördlich des Kanalwegs allein durch die Interessenten an autofreiem Wohnen und Arbeiten zu decken.
Quelle:
"Möglichkeiten des "Autofreien Wohnens" in der Karlsruher Nordstadt auf dem Grundstück "Nördlich des Kanalwegs- West" von Johannes Schell. Diplomarbeit an der FH Karlsruhe, Fachbereich Bauingenieurwesen, Lehrgebiet Stadtplanung, Prof. Dr.- Ing. L. Dunker; Januar 2000